"Schicksale hinter den Namen der jüdischen Opfer zeigen"

Neuer Verein will hunderte Biographien veröffentlichen - Helfer gesucht

Aachen. Mancher der Überlebenden wird den kommenden Samstag vielleicht zum Anlass nehmen, in Gedanken in seine alte Heimatstadt zurückzukehren. Am 27. Januar jährt sich die Befreiung des KZ Auschwitz zum 56. Mal. Auch zahlreiche Juden aus dem Dreiländereck wurden bekanntlich von Aachen aus in jenes Lager verschleppt, dessen Name bis heute für die schlimmsten Verbrechen der deutschen Geschichte steht.

Nicht nur am Holocaust-Gedenktag engagieren sich viele Menschen, um ihrerseits die Erinnerung wach zu halten. Ein neuer verein will jetzt auf ungewöhnliche Weise dafür sorgen, dass jene Juden, die den nationalsozialistischen Rassenwahn nicht überlebt haben, auf ganz andere Art in die Region zurückkehren - und damit in die Köpfe und Herzen der heutigen Aachener.

"Seit Anfang 1998 haben wir mit Hilfe unterschiedlichster Kontaktpersonen und Institutionen eine Vielzahl von Daten und Informationen über ehemalige jüdische Mitbürger sammeln können", erklären Bettina Offergeld und Norbert Keufgens, die das Projekt mit großen Engagement vorantreiben. Gemeinsam mit den Studenten Jessica Gründig, Judith Ulmer, dem Referendar Dietrich Hofmann und der Historikerin Maren Müller haben sie jetzt den Verein "Gedenkbuchprojekt für die Opfer der Shoah aus Aachen" gegründet.

In den letzten drei Jahren legte die Gruppe eine umfangreiche Datenbank an, in der rund 1945 Namen von Juden gespeichert sind, die in der ehemaligen Aachener Synagogengemeinde lebten. Viele von ihnen sind vom Grenzland aus in die Mordfabriken der Nazis deportiert worden. Mehr als 600 haben im KZ ihr leben verloren. Das Team durchforstete diue einschlägige Literatur, stöberte in Archiven, sprach mit zeitzeugen, Historikern und natürliche den Betroffenen selbst; Im vergangenen Jahr reisten Offergeld und Keufgens nach Israel, um mit persönlichen Interviews Zeugnissen und Erlebnissen der Emigranten nachzuspüren.

"Wir wollen vor allem die Menschen hinter den Namen wieder sichtbar machen", betont Keufgens. Das soll nicht allein durch Porträtfotos geschehen, sondern auch und vor allem mit Biographien, die Aufschluss geben über Persönlcihkeiten, soziale und familiäre Beziehungen, berufliche Entwicklungen und vieles mehr. Eine Vielzahl von mehr oder minder detaillierten Dossiers, teils von Angehörigen der Opfer verfasst, harrt bereits der Veröffentlichung. Andere müssen noch geschrieben, zahlreiche Kontakte mit Überlebenden oder Nachkommen geknüpft werden.

Da das Werk jederzeit ergänzbar sein soll, denken die Initiatoren zunächst nicht an eine konventionelle Publikation, sondern an eine Veröffentlichung via Computer an einem zentralen und für die Öffentlichkeit zugänglichen Ort. "Dazu aber benötogen wir Unterstützung", erklärt Bettina Offergeld. Deshalb möchte der Verein jetzt Patenschaften einrichten: Jeder, der einen aktiven und konstruktiven Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung leisten möchte - Gruppen aller Art, aber auch interessierte Einzelpersonen - kann sich melden.

Quelle: Aachener Zeitung, 25. Januar 2001