Nichts ist gut
von Martin Machowecz
Antisemitismus:Nichts ist gut
Israels Krieg in Gaza ist fürchterlich. Doch er darf keine Begründung dafür sein, dass der Antisemitismus gedeiht.
In den deutschen Debatten über Israel und Gaza hat sich etwas verbessert und etwas verschlechtert. Verbessert hat sich, dass mehr und ehrlicher über die schreckliche Lage in Gaza gesprochen wird. Verschlechtert hat sich, dass es schwer geworden ist, über die Lage der Jüdinnen und Juden zu reden, hier und überall auf der Welt. Was ist los in Deutschland, das den Schutz Israels zur Staatsräson erklärt hat? Das sich geschworen hat, Juden nie mehr auszugrenzen?
Dies: In Berlin muss ein israelischer Starkoch darum kämpfen, ein Restaurant eröffnen zu können, es gelingt aufgrund antisemitischer Proteste erst nach mehreren Absagen.
In dem kleinen mecklenburgischen Städtchen Klütz wird der jüdische Publizist Michel Friedman von einer Lesung ausgeladen – Medienberichten zufolge auch mit der Begründung, man könne die Sicherheit der Veranstaltung nicht garantieren.
Linke Konzerthäuser, die sich als israelfreundlich verstehen – wie das Conne Island in Leipzig oder das About Blank in Berlin –, müssen um ihre Existenz fürchten, weil antiisraelische Boykottaufrufe gezielt an Künstler und Konzertveranstalter adressiert werden.
Überall sieht man jetzt wieder Palästinensertücher als Zeichen der Solidarität mit den Opfern von Gaza. Aber Juden berichten, dass sie sich nicht einmal mehr in Vierteln, in denen das früher normal für sie war, mit Kippa auf die Straße trauen.
Es nützt nichts, sich einzurichten in der Bequemlichkeit der Eindeutigkeit
Und wenn man, wie der Autor dieser Zeilen, in einer deutschen Fernsehtalkshow dafür wirbt, auch die israelische Sicht auf die Welt nicht zu vergessen – dann erhält man, eingesandt unter Klarnamen, Zuschriften, die man eigentlich nicht zitieren möchte, aber vielleicht muss. Eine lautet: "Leck weiter den Arsch der Juden du Hund!" So etwas kommt in Mengen.
Die Zahl antisemitischer Vorfälle, die der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus dokumentiert hat, stieg 2024 um 77 Prozent, auf im Schnitt 24 Vorfälle täglich. Antisemitismus, immer schon ein rechtes Phänomen, ist heute auch wieder ein linkes. Und es ist eines, das mehr und mehr auch mit muslimischer Einwanderung verbunden ist. Was man bei mancher Pro-Palästina-Demonstration in deutschen Großstädten inzwischen hört, an Parolen, die letztlich Israels Auslöschung fordern, war vor ein paar Jahren noch unvorstellbar.
Niemand kann einem mitfühlenden Menschen verübeln, dass er innerlich zerrissen ist beim Blick auf Israel und Gaza. Die Kriegsführung der Regierung Netanjahu ist brutal und weitgehend rücksichtslos, das Leid von Kindern, Frauen und Männern in diesem ohnehin schon verarmten, zerrütteten Küstengebiet ist höllisch geworden, und darüber reißen Netanjahus teils rechtsextreme Minister auch noch zynische Sprüche.
Doch stimmt auch dies: Israel ist weiterhin die einzige wirklich funktionierende Demokratie des Nahen Ostens. Die israelische Bevölkerung steht keinesfalls einhellig hinter den Angriffen auf Gaza. Gaza wird immer noch von einem Terrorregime beherrscht, dessen Ziel die Vernichtung Israels ist. In Gaza werden immer noch israelische Geiseln in Tunneln und Kerkern gehalten, von Kämpfern der Hamas, die bei einem Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 mehr als 1.200 Menschen getötet haben. Israel muss sich immer noch gegen Feinde in unmittelbarer Nähe wehren, die seine Auslöschung im Sinn haben.
Soll man dem Land die Waffenlieferungen streichen, obwohl es Waffen dringend auch braucht, um sich selbst zu verteidigen? Soll man einen palästinensischen Staat anerkennen – wie es etwa Frankreich und Großbritannien gerade getan haben –, obwohl nicht klar ist, wie dieser Staat funktionieren könnte, wer ihn regieren würde, ob dort nicht rasch wieder der Terror dominieren würde?
Wer versucht, beides zusammenzubringen – die israelische Perspektive und den Blick auf das Grauen in Gaza –, dem heizt sich der Kopf auf, weil es fast nicht zusammenzubringen ist. Aber es gibt eben beides, da nützt es nichts, sich einzurichten in der Bequemlichkeit der Eindeutigkeit.
Das Gute an der deutschen Erinnerungskultur ist, dass die Debatten immer noch moderater geführt werden als in den meisten anderen Ländern, tastender. Aber diese Erinnerungskultur ist in Gefahr. Wenn es allen Ernstes schwierig werden sollte, sich solidarisch mit Israel zu zeigen, ohne als Relativierer des Leids von Gaza verunglimpft zu werden, läuft etwas schief.
Quelle: Die Zeit Nr.41/2025, 25.9.2025

